“Es geht darum die Problematik der Landwirt*innen zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu finden” – Im Interview mit unser regionalen Botschafterin Julia Welkoborsky

Julia Welkoborsky hat Wirtschaftsrecht mit dem Schwerpunkt Medienrecht und Marketing studiert. Vor vier Jahren eröffnete sie ihre erste Schwärmerei in Dortmund Westpark. Als regionale Botschafterin versucht sie einen Blick auf die Bedürfnisse in der Region zu haben, sowohl aus Sicht der Erzeuger*innen, Kund*innen und Gastgeber*innen. Im Interview haben wir sie gefragt, wie sich ihr regionales Netzwerk in den letzten Jahren entwickelt hat und welchen Herausforderungen sie und ihre Erzeuger*innen im Moment gegenüberstehen.

Wie bist du zu Marktschwärmer gekommen und was hat dich motiviert, eine eigene Schwärmerei aufzubauen?

Ich habe mich schon immer versucht überwiegend von regionalen Produkten zu ernähren und meinen freien Tag in der Woche genutzt, um bei den Hofläden in meiner Gegend einzukaufen. Im Jahr 2017 bin ich durch Zufall auf die Marktschwärmer aufmerksam geworden und war sofort begeistert von dem Konzept. Alle Lebensmittel von regionalen Produzent*innen an einem Ort abzuholen, bedeutete für mich eine große Zeitersparnis. Nach meinem Besuch in einer Schwärmerei in Berlin, war ich davon überzeugt, dass ich nicht die Einzige bin, die sich für diese neue Art des Einkaufens begeistern lässt. Es entstand der Wunsch eine eigene Schwärmerei in Dortmund zu gründen. Im Dezember 2017 war es dann soweit: Meine erste Schwärmerei im Westpark feierte Eröffnung. Heute hat die Schwärmerei über 2000 Mitglieder. Eine weitere Schwärmerei gibt es in Dortmund Schüren

Wie wurde das Konzept am Anfang angenommen und wie hat sich deine Schwärmerei seitdem entwickelt?

Die Schwärmerei hat sich anfänglich sehr verhalten entwickelt. Es hat zwei bis drei Jahre gedauert, bis wir ein vielfältiges Angebot von Lebensmitteln anbieten konnten. Zu Beginn war die Produktauswahl sehr Fleischlastig. Es fehlten vor allem Gemüse, Obst und Getreideprodukte. Im letzten Jahr hat vor allem die Corona-Pandemie der Schwärmerei noch mal einen großen Entwicklungsschub verpasst. 

Rückblickend kann ich sagen, dass sich auf Seiten der Mitglieder und Erzeuger*innen in den letzten vier Jahren sehr viel getan hat. Früher hatte die Schwärmerei eher einen Veranstaltungscharakter. Die Leute sind gekommen, um etwas zu erleben und sich auszutauschen. Mittlerweile kommen sie in die Schwärmerei, um ihren Grundeinkauf an Lebensmitteln zu erledigen, das sieht man vor allem an der veränderten Zusammensetzung ihres Einkaufs. Trotzdem ist der Austausch unter den Mitgliedern und die Anwesenheit der Erzeuger*innen bei den Verteilungen unverzichtbar. Die Konsument*innen müssen die Möglichkeit haben, Fragen direkt an die Erzeuger*innen stellen zu können. Spezifische Fragen zu den Produktionsmethoden oder den Ernteverfahren vor Ort kann ich nicht genau beantworten. So etwas wissen die Erzeuger*innen immer am besten.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen für deine Erzeuger*innen und wie können Verbraucher*innen und das Marktschwärmer-Konzept dazu beitragen, diese Herausforderungen zu lösen?

Aktuell haben einige Landwirt*innen mit den Folgen des Hochwassers der vergangen Wochen zu kämpfen. Die starken Regenfälle haben große Teile der Felder überflutet und dem Boden zugesetzt. Durch die vielen Hitzeperioden im letzten Jahr sind die hiesigen Böden sehr hart und undurchlässig, was ein schnelles abfließen des Wassers erschwert. Die großen Wassermengen haben zum Teil Nutzflächen verunreinigt oder ganze Kulturen aus dem Boden gerissen. Das Ausmaß der Zerstörung ist an einigen Stellen gewaltig. Eine Bekannte von mir hat sich erst in diesem Jahr im Gemüseanbau selbstständig gemacht, um die Schwärmereien zu beliefern. Der Regen und das Hochwasser hat mindestens 1/3 ihrer Ernte völlig zerstört und das nachdem sie bereits ein so hohes finanzielles Risiko eingegangen ist. Ich könnte zahlreiche ähnliche Geschichten erzählen. Jetzt ist es enorm wichtig, dass die betroffenen Landwirt*innen finanzielle Unterstützung erhalten. Wir organisieren uns vor Ort als Gemeinschaft, um zu schauen wie wir Hilfen sammeln und an die Betroffenen verteilen können. Jede Hilfe wird benötigt, um die hiesigen landwirtschaftlichen Betriebe im Wiederaufbau ihrer Existenz zu unterstützen.

Letztes Jahr war die Trockenheit ein großes Thema bei den Erzeuger*innen. Viele Betriebe konnten kein eigenes Futtermittel für ihre Tiere produzieren. Es kam zu Engpässen, weil auch andere Betriebe in der Region ebenfalls einen Mangel an Pflanzenfutter hatten. An einem Punkt ließ es sich nicht mehr vermeiden, Futter aus dem Ausland zu beziehen. Eine ungünstige Maßnahme, weil dadurch die Lieferketten schwieriger nachzuvollziehen sind. In diesem Jahr war der kalte Frühling für viele Produzent*innen eine Herausforderung. Die langanhaltende Kälte hat dazu geführt, dass das Gemüse und Obst hier nur sehr langsam wachsen konnte. Schön war zu sehen, dass die meisten Kund*innen Verständnis für diese Situation hatten und geduldig auf die Produkte wie z.B. Spargel gewartet haben, anstatt diesen sofort im Supermarkt zu kaufen.

Eine weitere Herausforderung ist das Thema Plastik. Viele Konsument*innen, nicht nur bei Marktschwärmer, möchten bei ihrem Einkauf Plastik vermeiden. Dem gegenüber stehen Verbraucher*innen, denen eine lange Haltbarkeit und die Hygiene am wichtigsten sind. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, müssen die Erzeuger*innen Plastik verwenden, um z.B. Fleischprodukte zu vakuumieren. Für viele Erzeuger*innen gibt es derzeit wenig bis keine Alternativen die Lebensmittel anders zu verpacken. Auch im Produktionsprozess gibt es wenige Alternativen zu Plastik. Durch Recycling der Materialien, versuchen viele Betriebe den eigentlich unbrauchbaren Müll wieder nutzbar zu machen. 

Ich habe das Gefühl, dass Erzeuger*innen den Bedürfnissen der Kund*innen bei der Direktvermarktung viel mehr nachkommen müssen als es im Supermarkt der Fall ist. Dort kaufen die Verbraucher*innen einfach ein, ohne noch mal nachzufragen. Für das Marktschwärmer-Konzept ist es unglaublich wichtig, dass Kund*innen den Erzeuger*innen verständnisvoll begegnen. Einfach nur pure Ablehnung gegenüber z.B. Plastik zu zeigen, bringt keine Verbesserung. Vielmehr geht es darum in den Austausch zu kommen, die Problematik der Landwirt*innen zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu finden.  

 

Welche extra Aufgaben übernimmst du als regionale Botschafterin und wie hat sich dein regionales Netzwerk entwickelt, seitdem du regionale Botschafterin bist? 

Ich versuche einen Blick auf die Bedürfnisse in der Region zu haben, sowohl aus Sicht der Erzeuger*innen, Kund*innen und Gastgeber*innen. Ein Fokus liegt bei mir auf der Vernetzung von Gastgeber*innen und Erzeuger*innen. Anfang des Jahres hatten wir in der Region einen Engpass an Gemüse. Inzwischen haben wir eine Gemüsegärtnerin bei uns, die nur wegen Marktschwärmer ihr Unternehmen gegründet hat. Zusätzlich gibt es einige Landwirt*innen die aufgrund der Nachfrage, mit dem Gemüsebau begonnen haben. 

Zudem ist es mir ein Anliegen, den Netzwerkgedanken hier im Ruhrgebiet zu leben. Ich besuche andere Schwärmereien, organisiere Gastgeber*innentreffen und teile mit ihnen meine guten aber auch schlechten Erfahrungen. Vor Corona habe ich zusätzlich verschiedene Veranstaltungen wie Workshops, Vorträge z.B. zum Thema Muttergebundene Kälberaufzucht und Kräuterwanderungen auf die Beine gestellt. Auch hat es mir immer großen Spaß gemacht, das Marktschwärmer-Konzept auf Messen und an Fachhochschulen vorzustellen. Ich freue mich schon, wenn das alles wieder möglich ist.

Im letzten Jahr haben alle Schwärmereien einen starken Zuspruch erfahren – du und deine Erzeuger*innen standen aber gleichzeitig durch Lockdown-Maßnahmen vor großen Herausforderungen: Kannst du uns trotzdem eine schöne Geschichte oder Anekdote aus dieser Zeit teilen, an die du dich selbst gern erinnerst?

Es gibt viele schöne Geschichten, die ich aus dem Netzwerk berichten kann. Zu Beginn sei gesagt, dass die Hilfsbereitschaft von Kund*innen und Erzeuger*innen über den gesamten Lockdown-Zeitraum enorm groß war. Unsere Verteilung findet wöchentlich in einem Restaurant statt. Als dieses im November 2020 aufgrund der pandemischen Lage schließen musste, konnten wir dort trotzdem weiter verteilen. Mitarbeiter*innen die gerade erst angefangen hatten im Restaurant zu arbeiten, konnten kurzfristig bei mir als Lieferfahrer*innen und Packhelfer*innen einspringen und so die drohende Kurzarbeit umgehen. 

Eine schöne Geschichte kann ich auch vom Spargelhof Friggemann erzählen. Seit über 15 Jahren hat der Hof seinen Spargel auf dem Wochenmarkt in Dortmund verkauft. Im letzten Jahr durfte nach einem Wechsel der Marktleitung leider keine Saisonware mehr angeboten werden. Um den Marktplatz behalten zu können, hätte der Hof für den Winter Ware zukaufen und die Standgebühr für das ganze Jahr bezahlen müssen. Diese Umstellung wäre so kurzfristig nicht möglich gewesen und hätte das regionale Verkaufskonzept des Hofes untergraben. Der Spargelhof ist jetzt bei den Marktschwärmern und hat auf diese Weise einen neuen Absatzmarkt gefunden. Viele Kund*innen kommen nur wegen diesem Betrieb zu uns in die Schwärmerei.

Wir bedanken uns bei Julia Welkoborsky für das Interview und die interessanten Einblicke in ihre Tätigkeit als Botschafterin und Gastgeberin. Schau doch unbedingt mal in den Schwärmereien in Dortmund vorbei.

 

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Marktschwärmer

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