Ölmühlen, die einheimische Ölsaaten verarbeiten, blühen zur Zeit wieder auf. In der Nachkriegszeit waren sie der zunehmenden Industrialisierung der Speiseöl-Herstellung zum Opfer gefallen. Noch vor wenigen Jahren gab es kaum mehr Öl-Manufakturen in Deutschland.
Jetzt kommen sie wieder, weil immer mehr Menschen die feinen und gesunden Öle aus regionalen Saaten und frischer, lokaler Verarbeitung neu entdecken. Eine dieser Manufakturen ist die Ölmühle an der Havel von Frank Besinger und Sabine Stempfhuber, die auch Food Assemblies in Berlin mit Bio-Ölen beliefern.
Die Pressung von heimischen Ölsaaten, etwa der Leindotterpflanze, ist bereits seit Jahrtausenden bekannt. Damals wurden mit einfachen Pressverfahren grobe Ölbreie hergestellt. Erst im antiken Griechenland und im Römischen Reich war die Handwerkskunst so weit entwickelt, dass reine Öle entstanden, wie wir sie heute kennen. Die Römer exportierten nicht nur das Öl der Olivenfrucht in den europäischen Norden, sie verbreiteten auch das handwerkliche Wissen um die Ölverarbeitung. Im Mittelalter blühten in Deutschland zahlreiche Ölmühlen an den Flussläufen auf, angetrieben durch Wasserkraft.
Im vergangenen Jahrhundert setzte sich schrittweise die großindustrielle Herstellung von billigen Speiseölen durch. Viele regionale Ölmühlen konnten nicht mithalten und mussten nach und nach aufgeben.
Industrielle Hersteller pressen heute große Mengen an Saaten in kürzester Zeit und die Öle stehen dann monatelang in der Regalen der Supermärkte herum. Daher werden die Rohstoffe in aufwändigen lebensmitteltechnologischen Verfahren erhitzt, entschleimt, entsäuert, gebleicht, gefiltert und mit allerlei chemischen Zusätzen – darunter hochtoxische Hilfsstoffe – behandelt und am Ende bei 220° desodoriert, um den Geschmack und den Geruch der Öle anzupassen. Zweck des Ganzen: lagerfähige, immer gleich aussehende, gleich schmeckende und riechende, standardisierte Produkte.
Industrielle Speiseöle sind nicht nur vergleichsweise geschmacksarm, sie haben auch die gesundheitsfördernden, den Kreislauf und den Stoffwechsel anregenden, Heilwirkung entfaltenden Bestandteile, die die Saaten mitbringen, weitgehend eingebüßt.
Anders bei den neuen Öl-Manufakturen. Hier stehen handwerkliche Sorgfalt und viel Erfahrungswissen im Vordergrund, um die wertvollen Inhaltsstoffe zu erhalten und den Charakter der Öle herauszuarbeiten. Ein ausgeprägtes, komplexes Geschmacksbild der Öle ist kein unerwünschter Störfaktor, der womöglich den durchschnittlichen Supermarkt-Käufer erschrecken könnte, sondern ausdrücklich erwünscht.
Bei der Ölmühle an der Havel werden ausschließlich Öle in voller Bio-Rohkost-Qualität hergestellt: Sowohl bei der Trocknung der Saaten, die beim landwirtschaftlichen Erzeuger stattfindet, wie auch beim Pressvorgang in der Ölmühle dürfen die Temperaturen 40° C nicht überschreiten.
Heute wissen auch Köche in der Spitzengastronomie um die geschmackliche Stärke hochwertiger, in der Region frisch gepresster Öle. Qualität, die man schmecken kann, und die nur durch kurze Lagerfristen, kurze Transportwege und sorgfältige, schonende Verarbeitung erreicht wird.
Der Berliner Sternekoch Kolja Kleeberg, der auf regionale Lebensmittel großen Wert legt, nutzt die Erzeugnisse der Ölmühle an der Havel nicht nur in der Küche seines Restaurants VAU, er stellt auch den Gästen statt Olivenöl das mild-nussige Rapsöl aus ungeschälten Brandenburger Saaten aus der Ölmühle an der Havel auf den Tisch.
Eine weitere Besonderheit der Ölmühle ist die vollständige Weiterwertung der Reststoffe, also der bei der Öl-Produktion anfallenden Presskuchen sowie der Kerne, etwa von Aprikosen. So entstehen in eigener Herstellung köstliche, proteinreiche Brownies, intensiv schmeckende Pesti und Fruchtkern-Mehle. Die Fruchtkerne werden auch in den hauseigenen Fruchtaufstrichen verarbeitet. Verschiedene Partner nehmen der Ölmühle Presskuchen ab und reichern damit Rohkost-Smoothies und andere Lebensmittel an – wie zum Beispiel Frau Bunt kocht, die ihre Müsli-Mischungen damit anreichert (die ebensfalls in Berlin über Food Assembly erhältlich sind). Nichts wird entsorgt, alles kreativ genutzt.
In der ihrer Ölmühle im Berliner Bergmannkiez kann man Frank Besinger und Sabine Stempfhuber bei der täglichen Pressung der Öle über die Schulter schauen. Hier werden unter anderem Sonnenblumen-, Senf-, Lein-, Raps-, Leindotter- und Hanföle gewonnen. Hinzu kommen Öle aus nicht-regionalen Rohstoffen, zum Beispiel Aprikosenkern-, Mohn-Vanille- und Mohn-Zimtblütenöle.
Die Produkte der Ölmühle an der Havel werden im eigenen Laden und in einigen ausgewählten Bio- und Feinkostgeschäften vertrieben und sind in Berliner Food Assemblies erhältlich. Für ihre schönen, zweckmäßig gestalteten Verpackungen wurde das junge Unternehmen im Juni 2015 mit einen renommierten internationalen Design-Preis ausgezeichnet. (ut)
www.oelgenus.de
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