Bitter – auf der Suche nach einem verlorenen Geschmack

Sauer macht lustig, so sagt man. Bitter, könnte man ergänzen, hält den Körper gesund. Menschen vermögen Bitteres von Süßem, Sauerem und Salzigem zu unterscheiden. Dies spiegelt sich in den vier geschmacklichen Grundrichtungen, die seit jeher in allen Küchen der Welt zu finden sind.

Durchgesetzt hat sich heute die Auffassung, dass wir noch über einen weiteren Geschmackssinn verfügen, den für umami. Das Wort kommt aus dem Japanischen und steht für fleischig, herzhaft, vollmundig, wie wir es von Käse, gebratenem oder geschmortem Fleisch, Fisch- und Sojasauce oder Pilzen kennen.

Seit wenigen Jahren gehen einige Forscher davon aus, dass wir sogar einen sechsten Sinn haben, den für Fettes. Denn auch für Fett gibt es besondere Rezeptoren im menschlichen Körper. Diese sind die Empfangsstationen, die Signale im Körper und ins Gehirn weiterleiten. Wer weiß, vielleicht zaubert die Forschung in Zukunft ja noch weitere Geschmackssinne hervor? Nur für den Fall, das uns einer abhanden kommt – bitter.

Bitterstoffe beugen vor und heilen

Die gesundheitsfördernden Wirkungen von Bitterem sind schon seit der Antike bekannt. Bitterstoffe liefern wichtige Impulse für die körpereigene Regulation und unterstützen natürliche Heilungsprozesse. Bitteres fördert die Verdauung, regt generell den Stoffwechsel an und beugt Zivilisationkrankheiten wie Immunschwäche, Übergewicht, Übersäuerung des Körpers, Herz- und Kreislaufleiden vor.

Auch Tiere nehmen gerne Bitterstoffe zu sich, wenn sie erkranken. Schafe etwa greifen dann zur Schafgarbe, einer bitteren Quecke, die sie sonst eher verschmähen.

Zu den wichtigsten Lebensmitteln, die viele wertvolle Bitterstoffe enthalten, zählen Chicorée, Radicchio, Rosenkohl, Artischocken, Rucola, Grapefuit, Löwenzahn oder auch hochprozentige Schokolade und Hirse. Eine Vielzahl an bitteren Kräutern werden in allen Kulturkreisen in der Küche und in Heilkunde eingesetzt. Bitteres gehört also aus guten Gründen unbedingt auf einen ausgewogenen Speiseplan.

Eine Geschmacksrichtung verschwindet

Die Geschmacksrichtung droht jedoch so langsam aus unserer Esskultur zu verschwinden. Schuld daran ist vor allem die industrielle Nahrungsmittelherstellung. Die großen Nahrungshersteller, aber auch Fastfood-Ketten, setzen fast ausnahmslos auf süß, salzig und umami. Industrielle Nahrung enthält vor allem sehr viel Zucker und Salz, was immer wieder von Verbraucherschützern beklagt wird.

Dabei mag eine Rolle spielen, dass Salz und Zucker, auch in synthetischer Form, einfach zu gewinnen und auf den Rohstoffmärkten der Welt billig zu haben sind. Ebenso wie die Geschmacksverstärker, die uns Herzhaftes vorgaukeln.

Aber es gibt auch andere Gründe: Ursula Heinzelmann, die eine Geschichte der deutschen Esskultur geschrieben hat, meint: Süß und salzig sind „einfach gestrickt“. Das Bittere hingegen ist „mysteriös und verführerisch, sein Charakter viel komplexer“.

Die Nahrungsindustrie und Fastfood-Anbieter produzieren auf Masse und wollen ihre Kunden auf gar keinen Fall mit allzu differenzierten Geschmacksbildern verschrecken. Alles soll wohlig, gefällig und ohne Ecken und Kanten schmecken – easy eating. Salz, Zucker und künstliches umami fördern zugleich den Heißhunger und sorgen so zuverlässig für noch mehr Umsatz.

Menschen, die viele industriell hergestellte Produkte konsumieren, gelangen deshalb mit Bitterem kaum mehr in Berührung. Hinzu kommt, dass auch Getreide-, Gemüse und Obstsorten die Bitteranteile in der Vergangenheit gezielt weggezüchtet wurden. Kein Wunder also, dass viele Zeitgenossen bitter und sauer nicht mehr richtig unterscheiden können.

Bitter will gelernt sein

Die Industrie macht es sich zunutze, dass wir Menschen einen ererbten Hang zu Süßem haben. Süßes verspricht schnelle Kohlenhydrate, die unsere Vorfahren auf Nahrungsuche, auf dem Acker und später in der Fabrik dringend benötigten.

Vor Bitterem hingegen ist uns eine natürliche Scheu angeboren. Bitterstoffe signalisierten mögliche Gefahren, giftige Stoffe, die schädlich oder tödlich sein könnten. Aus diesem Grund lehnen Babys und Kleinkinder bitter Schmeckendes in aller Regel zunächst mehr oder weniger ab. Bitter will sozial und kulturell gelernt sein.

Aber was ist, wenn Babys, Kinder und Jugendliche gar nicht mehr auf den Geschmack kommen können, weil in der Elterngeneration das Bittere bereits weitgehend verschwunden ist? Die Antwort: Diese jungen Menschen bilden erst gar keine Geschmacksknospen für Bitteres aus.

Bitter macht Spaß!

Zum Glück sind Bitternoten nach wie vor kulinarisch geschätzt und blühen sogar wieder auf. Zum Beispiel in der heute viel diskutierten Naturwein-Bewegung. Hier werden Weine ohne Zusätze und Chemie hergestellt und bringen ungewohnte Bitternoten ins Glas und auf die Zunge. Viele handwerklich arbeitende Spirituosen-Brennereien stellen heute vermehrt hochwertige, geschmacklich komplexe Kräuter und Bitter her.

Und nicht zuletzt: Während die Biere der großen Hersteller – vor allem das in Deutschland so beliebte Pils – in den letzten Jahrzehnten immer süßer und austauschbarer wurden, hält die neue Craftbeer-Bewegung dagegen: Mit feinen und gelegentlich auch lauten Bittertönen, die vor allem vom eingesetzten Hopfen kommen. Craftbeer-Brauer weisen die Bitterkeit ihrer Biere nach einer international anerkannten Skala auf dem Flaschenetikett aus.

Auch viele alte, noch nicht verzüchtete Gemüse- und Obstsorten, Salate und Kräuter bieten ein reichhaltiges Spektrum bitterer Geschmacksnoten.

Bitter ist nicht tot, es überlebt an der Rändern unserer Esskultur. Es lohnt sich durchaus, öfter einmal genauer hinzuschmecken und Bitteres bewußt wahrzunehmen. (ut)

Die Kulturjournalistin Christine Holler hat ein empfehlenswertes Buch über Bitterstoffe veröffentlicht. Das Buch führt in die esskulturelle und heilkundliche Bedeutung der Bitterstoffe in aller Welt ein und beschreibt Dutzende Gemüse- und Obstsorten, Kräuter und Gewürze, wie sie wirken und sich in der Küche einsetzen lassen.  – Christine Holler: Vital und schlank mit Bitterstoffen, 128 Seiten, Kneipp Verlag, Wien 2015.

Wir verlosen ein Exemplar des Buches unter allen Interessierten, die sich bis zum 30. September 2015 unter kontakt@foodassembly.de melden. – Datenschutzhinweis: Persönliche Daten werden ausschließlich zur Auslosung und zur Benachrichtung des oder der GewinnerIn genutzt und anschließend gelöscht. (ut)

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