Inmitten Berlins, zwischen Industriegebäuden und Tecno Clubs, hat sich Jay Barros sein eigenes kleines Labor eingerichtet. In einem umgebauten Container wachsen dicht an dicht leuchtend grüne Pflänzchen aus der Erde. Sogenannte Microgreens – winzige, nährstoffreiche Pflanzen, die in wenigen Tagen heranwachsen, bevor sie als Topping, in Smoothies oder Aufstrichen auf unseren Tellern landen.
Jay ist der Gründer von Katari Farms, einem innovativen Indoor-Farming-Projekt, das seit 2022 frische, nachhaltig angebaute Microgreens in Berlin produziert. Im Interview spricht er mit uns über seine Vision, die Herausforderungen der Lebensmittelbranche und die Zukunft der urbanen Landwirtschaft.

Vor der Gründung von Katari Farms war Jay in verschiedenen Bereichen tätig. Bis zur Pandemie arbeitete er als Fahrradkurier in Berlin – ein Transportmittel, das er noch heute nutzt, um seine Microgreens auszuliefern. Zehn Jahre zuvor zog es ihn in die Hauptstadt, nachdem er in Spanien gelebt und dort vor allem in der Kunstszene gewirkt hatte.
Die Idee für Katari Farms entstand während des Lockdowns, als Jay begann, Gemüse und Pflanzen mithilfe der Hydroponik-Methode anzubauen. Zwei Jahre lang experimentierte er, um ein effizientes Konzept zu entwickeln, bevor er mit dem Verkauf seiner Microgreens an den Start ging.
Microgreens: Kleine Pflanzen, große Wirkung
„Viele Kund*innen wissen nach Jahren immer noch nicht genau, was Microgreens eigentlich sind“, grinst Jay. Microgreens sind die weiterentwickelte Form von Sprossen – junge Grünkräuter, die nach dem Keimen weiter wachsen und größere Blätter sowie einen kräftigeren Stamm entwickeln. Anders als Sprossen benötigen Microgreens ein wachstumsförderndes Medium, das den Wurzeln Halt gibt. Alle seine Samen sind bio-zertifiziert und stammen aus der EU. Microgreens sind voll mit Mikronährstoffen, Vitaminen und Mineralien und stellen eine äußerst hochwertige Nährstoffquelle dar. „Ich sage immer, eine Faust voll Microgreens ist wie eine ganze Gemüsekiste zu essen.“
Der Geschmack von Microgreens variiert je nach Sorte. Während Radieschen einen scharfen, fast wasabiartigen Geschmack haben, schmecken die Mikrogreens der Sonnenblume etwas butterig. Sie sind vielseitig einsetzbar und eignen sich perfekt als Topping, in Smoothies oder für Pesto.
Über ein selbst konfiguriertes Tablet steuert Jay alle Abläufe im Container. „Ich habe mich mit Programmierung beschäftigt und das direkt in mein Projekt integriert. Das System steuert über Relais die Beleuchtung, während ein Temperatur- und Feuchtigkeitssensor die Umgebung misst und automatisch Heizung sowie Belüftung regelt”. Microgreens wachsen schnell und benötigen wenig Platz. Je nach Sorte dauert es 5 bis 21 Tage von der Keimung bis zur Ernte. Entscheidend sind stabile Temperaturen für die Keimung und eine Luftfeuchtigkeit unter 60 %, um Schimmel zu vermeiden.
Jay verfolgt ein nachhaltiges Anbaukonzept: „Microgreens lassen sich auf kleinstem Raum mit hoher Nährstoffdichte anbauen, was sehr effizient ist. Zudem werden die LED-Lichter nur wenige Stunden am Tag betrieben, wodurch der Energieverbrauch minimal bleibt.“ Langfristig plant er, Solarthermie und passive Heizsysteme einzusetzen, um den Energieverbrauch weiter zu senken.
Das meiste Wissen hat er sich durch Lesen und Online-Recherche angeeignet. „Ich folge vielen Online-Tutorials, insbesondere von YouTubern, die sich mit Microgreens, Indoor-Farming und traditioneller Landwirtschaft beschäftigen“, erzählt er.

Herausforderungen im Handel: Der Kampf um faire Produktionsbedingungen
Viele Handelsquellen und Vertriebskanäle beziehen ihre Produkte vorwiegend aus dem Ausland. Selbst wenn sie lokale Anbieter in Betracht ziehen, stellen sie oft sehr hohe Anforderungen an die Produktionsmengen. Auch Jay hat diese Erfahrung gemacht: „Ein Online-Shop zeigte Interesse an meinen Microgreens, verlangte aber unrealistisch hohe Mengen jede Woche. Für kleinere Betriebe mit wenigen Angestellten ist es nahezu unmöglich, solche Anforderungen zu erfüllen. Diese Art der Produktion erfordert größere Unternehmen, die in der Lage sind, große Teams zu beschäftigen und Massenproduktion zu betreiben.“
Jay erklärt, dass es für lokale Erzeuger*innen eine große Herausforderung sei. Direktvermarktungsplattformen könnten zwar Verbindungen zu Konsument*innen schaffen, doch würden die Preise dort oft als zu hoch wahrgenommen. Daher sei es für Produzent*innen schwierig, ihre Preise zu senken, ohne ihre Existenz zu gefährden.“Die Lösung liegt darin, ein höheres Qualitäts- und Konsumniveau zu erreichen, bei dem lokale Konsument*innen die Landwirt*innen unterstützen, ohne dass es für diese untragbar wird und gleichzeitig für die Kund*innen erschwinglich bleibt. “
Jay betont die wichtige Rolle der Konsument*innen bei der Unterstützung der lokalen Landwirtschaft, indem sie bewusst alternative Einkaufsquellen wählen. Oft spielt dabei das Budget eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, zwischen regionalen und günstigeren Importprodukten zu entscheiden. Deshalb möchte er, dass seine Produkte auch für Menschen mit geringerem Einkommen erschwinglich bleiben. “Es ist wichtig, dass diese Produkte für eine breite Masse zugänglich bleiben, damit auch diejenigen mit geringerem Einkommen davon profitieren können.“ Sein Ziel ist es, mit günstigen Preisen zu konkurrieren, auch wenn das bedeutet, mit niedrigen Gewinnmargen zu arbeiten oder sogar Verluste in Kauf zu nehmen. Manchmal hat er in der Vergangenheit sogar Nebenjobs angenommen, um das Projekt am Laufen zu halten.
Bewusstes Einkaufen für eine nachhaltige Zukunft
Für ihn ist der Zusammenhang zwischen lokalem Anbau und einer nachhaltigen Zukunft klar. “Ein Teil der Lösung liegt darin, lokale Landwirt*innen zu nachhaltigen Anbaumethoden zu bewegen und der chemischen Landwirtschaft ein Ende zu setzen. Monokulturen mit Pestiziden sind nicht nachhaltig. Wir müssen nach umweltfreundlicheren Lösungen suchen.” Besonders wichtig ist ihm die Stärkung lokaler Lebensmittelsysteme. Neben den positiven Auswirkungen auf Klima und Umwelt betont er in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Ernährungssouveränität: “Es ist entscheidend, dass Menschen Zugang zu lokalen Lebensmitteln haben. Besonders in Zeiten der Energiekrise und steigender Ölpreise wird der Transport von Lebensmitteln aus der ganzen Welt immer problematischer. Das Beispiel der Avocados, die um den Globus transportiert werden, zeigt, wie wenig nachhaltig das langfristig ist.”
Auch in Krisenzeiten, wie zuletzt während des Ukrainekriegs, wird deutlich, wie wichtig ein stabiles regionales Ernährungssystem ist. “Je mehr wir lokal produzieren, desto weniger sind wir von Klimakatastrophen, wirtschaftlichen Krisen oder Kriegen abhängig. Das ist ein wichtiger Punkt in der Diskussion um Nachhaltigkeit.”
Katari Farms auf der grünen Woche 2025 in Berlin
Der Weg zu lokalen Märkten
Jay vertreibt seine Produkte über regionale Märkte, Kooperationsplattformen wie das Robin Hood Netzwerk und vor allem über Marktschwärmer in verschiedenen Berliner Schwärmereien. „Ich kannte Marktschwärmer schon lange, bevor ich mein Projekt gestartet habe. Tatsächlich war es einer der Gründe, warum ich begonnen habe – ich sah es als idealen Einstieg.“ Zudem arbeitet er gelegentlich mit der Super Co-op zusammen, einem selbstverwalteten, kooperativen Supermarkt in Berlin-Wedding.
„Solche Plattformen sind mir wichtig, um direkt mit den Kund*innen in Kontakt zu treten. Ich möchte nicht mit großen Konzernen wie Edeka oder Rewe arbeiten, sondern lieber lokale, unabhängige Unternehmen unterstützen.“ Deshalb beliefert er unter anderem auch kleine Restaurants wie das vegane, punkige Burger-Lokal Neue Republik Reger nahe dem Treptower Park oder ein Café einer Freundin in Prenzlauer Berg, das ebenfalls seine Mikrogreens nutzt. Übrig gebliebene Mikrogreens verkauft er zusätzlich über Plattformen wie Too Good To Go und Foodsharing.

Zukunftsvision: Botanical Studios und die Weiterentwicklung von Katari Farms
Für die Zukunft plant Jay Katari Farms weiter auszubauen und sein Sortiment zu erweitern. Noch recht neu mit dabei: ein Starterset, mit dem jeder zu Hause Spirulina züchten kann. Die nährstoffreiche Wasseralge gedeiht in speziellen Behältern durch Sonnenlicht und Photosynthese und lässt sich frisch ernten. „Mit unserem Starterset kann jeder ganz einfach Spirulina zu Hause züchten und ernten“, erklärt Jay. Neben Spirulina erweitert Jay das Sortiment um effektive Mikroorganismen für die schnelle Kompostierung. Die auf Milchsäurebakterien basierende Mischung zersetzt Küchenabfälle innerhalb einer Woche. Eine praktische Lösung für umweltfreundliches Kompostieren direkt in der eigenen Küche.
Unter dem Namen Botanical Studios soll zudem ein neues Geschäftsmodell entstehen, das sich auf die technologische Seite der Pflanzenzucht konzentriert. Ziel ist es, das bestehende System für den Heimgebrauch anzupassen. Bereits in Entwicklung sind hydroponische Wachstumstürme und 3D-gedruckte Kräutertöpfe, die den Anbau zu Hause erleichtern sollen.
Zudem möchte Jay fortschrittliche hydroponische Techniken für die Landwirtschaft im Außenbereich erforschen. “Wir sind derzeit dabei, ein kleines Feld außerhalb von Berlin zu mieten, etwa 16 Meter mal 100 Meter groß. Dort möchten wir mit hydroponischer Landwirtschaft experimentieren und auch Gewächshäuser bauen”.
Der Weg zu einem gerechten Lebensmittelsystem
Jay betont, dass es mehr Initiativen braucht, um Menschen für den Einkauf an den richtigen Orten zu sensibilisieren und diese überhaupt zugänglich zu machen. In Stadtteilen wie Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg sei das Bewusstsein für lokale Produkte höher, während es in ländlichen Gegenden und Vororten oft an entsprechenden Angeboten fehle. Besonders für Menschen mit geringem Einkommen, die auf Lebensmittelrettung und kostenlose Angebote angewiesen sind, sei der Zugang zu nachhaltigen Produkten schwierig.
„Die Herausforderung besteht darin, Lebensmittel für alle erschwinglich zu halten und gleichzeitig eine nachhaltige Produktion für Bauern zu gewährleisten – in einem offenen Markt, in dem niemand wirklich bereit ist zu zahlen, aber gleichzeitig alle mehr Geld wollen.“
Jay sieht auch die Politik in der Verantwortung, um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen. Er plädiert für Subventionen, die es Landwirt*innen erleichtern, nachhaltige Lebensmittel in kleineren Strukturen, etwa auf Stadtviertel-Ebene, zu produzieren und gezielt zu verteilen. Ein Modell könnte an frühere genossenschaftliche Systeme anknüpfen, bei denen landwirtschaftliche Erzeugnisse gemeinschaftlich verteilt wurden.
Für ihn steht nicht die Agrarindustrie im Fokus, sondern ein stärkeres Gemeinschaftsdenken. „Es geht darum, lokale Strukturen zu stärken und Lösungen zu finden, die für alle zugänglich und nachhaltig sind – statt nur große Unternehmen und Profite in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn wir auf gemeinsame Verantwortung setzen, können wir nicht nur Landwirt*innen unterstützen, sondern auch eine echte Verbindung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen schaffen. Das ist der Weg zu einem fairen und nachhaltigen Lebensmittelsystem.“
Derzeit plant er, selbst eine Schwärmerei in Berlin-Lichtenberg zu eröffnen und befindet sich in der Aufbauphase.
Autorin: Lotte Dall
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