Es gibt wohl kaum ein Produkt, was zur Zeit so sehr unter Beschuss steht wie die Milch. Die gute alte Milch. Geben wir es zu, bei vielen von uns löst der Gedanke an sie immer noch ein warmes Gefühl im Bauch aus anstatt Krämpfe im Verdauungstrakt. Wir stellen uns vor: Ein Strahl reiner weißer Milch fließt in eine Schüssel. Draußen ist schlechtes Wetter aber drinnen ist alles gut, denn es gibt Milch und eine kleine Katze, die aus dem Schüsselchen trinkt, während man selbst am Herd einen heißen Kakao anrührt. Dass die Milch nicht von einer Bäuerin mit geflochtenen Zöpfen leidenschaftlich aus dem Euter in geschwungene Tröge gemolken wird, ist irgendwie klar, aber daran denkt man nicht. Man weiß schon, dass es Maschinen gibt, aber das Melken bleibt trotzdem etwas Wohliges im Unterbewusstsein, was an der Kinder- und Kelloggs-Propaganda aus der Jugend liegen mag oder noch weiter zurückreicht in die Zeit, in der wir selber noch gesogen haben, so wie jetzt die Maschinen.
Was ist eigentlich aus dem Kühemelken geworden, habe ich mich gefragt und bin auf eine Alm gefahren. Morgens um halb 5 ging das Licht im Stall an, wo ich geschlafen habe, und wir sind los auf die Bergwiesen gegangen, um die Kühe zu holen. Es war noch dunkel und man konnte sie eher hören als sehen aber schließlich landeten alle im Stall, verschlafen, genau wie wir. Als Sepp die Melkmaschinen brachte, muss ich geguckt haben wie Agent 007, als Moneypenny ihm lediglich einen Revolver in die Hand drückt und keinen explodierenden Kugelschreiber. Ich hatte mich eingestellt auf endlose Schläuche, Röhren, Lärm und Blinken. Hatte es doch sogar auf der BioFach im März noch geheißen: „Weg von der Bioromantik, hin zu mehr Effizienz“.
Sepp jedoch holte drei Geräte in Walkie-Talkie-Größe mit jeweils zwei dezenten Schläuchen, die einerseits an die filigranen Rohrsysteme über den Futtertrögen angeschlossen wurden und andererseits mit vier eleganten Saugarmen direkt ans Euter. Die Operation verlief sauber, schnell und leise. Wenn eine Kuh all ihre Milch gegeben hatte, lösten sich die Saugarme automatisch von ihrem Euter und flogen von einem unsichtbaren Gummiband gezogen wieder zurück zum Walkie-Talkie. Der wurde dann ohne viel Geblinke oder Geräusch neben die nächste Kuh gehängt.
Ich konnte mich nicht entscheiden, welche Art von Understatement die Geräte hatten – die von einem Kugelschreiber, der unverhofft Gebäude einstürzen lässt oder die von einem Revolver, der sich nur von einem einzigen Agenten feuern lässt, weil er ausschließlich auf dessen Handfläche programmiert ist. Jedenfalls haben die Dinger deutlich mehr zu bieten, als auf den ersten Blick anzunehmen war. Erstens können sie Kühe melken. Aber darüber hinaus verfügen sie noch über eine Menge anderer Features. Sie erkennen die Kühe wieder und können immer auf die gesammelten Daten jeder Kuh zurückgreifen und auf diese Art individuelle Entwicklungen und Schwankungen feststellen. Dadurch kann eine konstante Kuhgesundheit gewährleistet werden. Mehr noch, die Geräte analysieren die Zusammensetzung der Milch sofort und ziehen Rückschlüsse auf die Fütterung. Der Bauer, der seine Milch zur Perfektion treiben will, weiß dann ganz genau, welcher Kuh er wie viel Kraftfutter zufüttern muss oder ob überhaupt. Sogar bei den Zuchtstrategien helfen die kleinen Melkmaschinen mit ihren Aussagen über die Milch.
Während ich im Stall stand, ging die Sonne draußen auf und ein Nebel legte sich auf den Hof. Die Kühe mampften und ihre Glocken bimmelten ab und zu. Sepp und auch der andere Sepp (beide Älpler hießen so auf dieser Alm) liefen grummelnd zwischen den Kühen herum und reinigten die Zitzen, bevor sie die Saugarme anlegten. Sie hatten die gleichen Melkkittel an wie ihre Großväter und benutzten traditionelle einbeinige Melkschemel. Nichts, aber auch gar nichts und vor allem keine harmlosen Walkie-Talkies konnten meine Bioromantik zerstören. Die Daten über die Damen wurden derzeitig ins Büro des Bauern zur Auswertung gesendet.
So ist es mit dem Kühemelken heutzutage – es ist romantisch und effizient. Die Technik hat den Punkt überwunden, an der man ihr ihre Komplexität ansieht. Es ist, wie mit allem anderen. Auch der Computernerd muss sich nicht mehr im Keller mit sieben Screens einkerkern. Sondern er kann im Park zwischen Gräsern und Blumen sitzen und mit einer einzigen Taste auf seinem Laptop das Gebäude hinter sich zum Einstürzen bringen.
Kuhmilch – wie zahlreiche Studien ergaben – ist im Übrigen tatsächlich nicht das Gesündeste für den Menschen. Im Falle von Katzen wurde bewiesen, dass Milch sogar ausdrücklich schädlich ist. Die Frage ist, wie die Technik darauf reagiert und ob die sogenannte Rohrmelkanlage bald im Museum zu sehen ist. Sehr sehenswert jedenfalls – wenn auch etwas Wohliges fehlen würde ohne Sepps und Sonnenaufgang.
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