“Wir stehen mit unserem Konzept dafür, dass wir an 365 Tagen im Jahr die wahren Preise an unsere Produkte schreiben”- im Interview mit Gastgeberin Hilde Koelb

Wusstest du, dass die Lebensmittelpreise, die du im Laden siehst, nicht wirklich die realen Kosten widerspiegeln? Es ist ein bisschen so, als würdest du nur einen Teil der Rechnung bezahlen, während der Rest erst später von dir und der gesamten Gesellschaft einkassiert wird.

Bei der Erzeugung von Lebensmitteln entstehen Kosten, die nicht über den Ladenpreis abgedeckt sind. Zu diesen sogenannten Externalitäten zählen soziale und Umweltfolgekosten, die beispielsweise durch den Ausstoß von Treibhausgasen oder der Belastung des Trinkwassers entstehen und anschließend von der Gesamtgesellschaft getragen werden. Um diese “wahren Kosten” aufzudecken, entstand 2019 die True Cost Initiative, die darüber aufklärt, was Lebensmittel tatsächlich kosten müssten, wenn man alle Schäden berücksichtigt, die bei ihrer Erzeugung und Verarbeitung entstehen. 

Schätzungen zur Folge belaufen sich die durch die Landwirtschaft verursachten Schäden in Deutschland jährlich auf rund 90 Milliarden Euro. Kosten, die nicht Teil der Lebensmittelpreise im Supermarkt sind. Hauptverursacher sind hier tierische Produkte, die aufgrund ihres hohen Energiebedarfs und Austrags von Stickstoff erhebliche Auswirkungen auf Klima und Umwelt haben und damit stolze 71% aller landwirtschaftlichen Emissionen generieren.

Kaum verwunderlich also das konventionell produziertes Hackfleisch nach dem True Cost Accounting dreimal so teuer sein müsste, würde es auch für die Auswirkungen für die bei der Produktion entstehenden Treibhausgase, Landnutzungsänderungen, reaktiven Stickstoffe und Energieverbrauch aufkommen. Biologisch produzierte, regionale und pflanzliche Lebensmittel hingegen sind derzeit schon verhältnismäßig sinnvoll bepreist. 

 

Wie berechnet man die wahren Kosten?

Um die wahren Preise zu bestimmen, setzt die True Cost Initiative auf eine Kostenrechnung, die nicht nur die direkten Produktionskosten berücksichtigt, sondern auch die verursachten gesamtgesellschaftlichen Kosten in ihre Rechnung mit einbezieht. Ökologische und soziale Folgekosten werden in den Produktpreis integriert, um einen transparenten und ganzheitlichen Blick auf den wahren Preis eines Lebensmittels zu erhalten.

In unserem Gespräch zu diesem Thema haben wir uns mit Gastgeberin Hilde Koelb ausgetauscht, die jeden Dienstag in Bonn ihre Schwärmereitüren öffnet. Die Unterstützung der lokalen Landwirtschaft, eine nachhaltige Versorgung und der Klimaschutz liegen ihr persönlich besonders am Herzen. Mit ihren Ursprüngen in der Sozialarbeit weiß sie jedoch nur zu gut, dass die wahren Preise für viele Menschen leider nicht immer erschwinglich sind. In unserem Interview erfährst du, was sie von der True Cost Accounting Initiative hält und welche Forderungen sie an die Politik stellt. 

Welche Vorteile bringen regionale Lebensmittel sowohl für Verbraucher*innen als auch für die Umwelt mit sich? 

Regionale Produkte bieten zahlreiche Vorteile, neben der Frische und dem Geschmack, ist hier besonders der reduzierte CO2-Verbrauch zu nennen, der bei Obst und Gemüse aus der Region einfach viel geringer ist. Zudem wirken sich regional und nachhaltig hergestellte Lebensmittel positiv auf die Vielfalt unserer Bodenlebewesen aus. Bedenkt man, wie viele Lebewesen im Boden leben und wie sehr wir mit chemischen Mitteln alles beeinträchtigen und kaputt machen, wird deutlich, wie wichtig es ist, unsere Umwelt und Region lebenswert zu erhalten. Wenn wir diesem Prinzip nicht folgen und stattdessen zusehen, wie billige Erdbeeren und Salate aus Spanien die Naturschutzgebiete regelrecht aussaugen, gefährden wir damit die Lebensqualität unserer Umwelt.

Denkst du, viele Menschen sind sich dieser Vorteile bewusst?

Das Bewusstsein für die Vorteile nachhaltiger Produktion und deren Bedeutung für uns alle und unsere gemeinsame Zukunft ist leider noch nicht ausreichend entwickelt. Die negativen Folgen importierter Produkte und intensiver Landwirtschaft werden früher oder später von uns, unseren Kindern oder spätestens unseren Enkeln bezahlt werden müssen. Dabei sind die Auswirkungen bereits heute ersichtlich, wie beispielsweise die verheerenden Folgen der Flut an der Ahr und andere aktuelle Katastrophen.

Kann True Cost Accounting die Art und Weise beeinflussen, wie wir (regionale) Produkte wahrnehmen und bewerten?

Ja, auf jeden Fall schafft True Cost Accounting ein Bewusstsein dafür, was die wahren Preise bestimmter Produkte eigentlich beinhalten. Das ist zwar aktuell noch ein Nischenwissen, dennoch je mehr Menschen wissen und sich bewusst sind, dass die günstigeren Preise im Supermarkt, in den meisten Fällen nicht die realen Preise widerspiegeln, desto besser für unsere Umwelt und zukünftige Gesellschaft. 

Penny hat im Rahmen einer einwöchigen Kampagne für neun ausgewählte Produkte die „wahren Kosten“ als Verkaufspreis berechnet, was hältst du von dieser Kampagne?

Auch mir sind zu Beginn Worte, wie Green- oder Socialwashing durch den Kopf gegangen. Wir bei Marktschwärmer stehen mit unseren Konzepten dafür, dass wir an 365 Tagen im Jahr die wahren Preise an unsere Produkte schreiben, damit irgendwann wirklich alle in der Lieferkette davon leben können. Aber in unserer “Bubble” erreichen wir mit unserer Mission überwiegend Menschen aus unseren oder angrenzenden Gruppen. Daher danken wir Penny für den Impuls, zumindest für eine Woche den wahren Preisen eine Plattform zu bieten und damit vielleicht auch Menschen erreichen zu können, die sich sonst wenig mit der Herkunft ihrer Lebensmittel befassen. 

Inwieweit denkst du, dass Marktschwärmer eine faire Alternative zum Supermarkt sein kann?

Marktschwärmer ist eine tolle Sache, da wir dort regionale und nachhaltige Produkte anbieten. Dennoch können wir die politischen Vorteile, die Supermarktprodukte durch fehlende faire CO2-Bepreisung genießen, nicht ausgleichen. Die Lebensmittel im Supermarkt erscheinen oft viel günstiger im Vergleich zur Schwärmerei, die faire Preise bietet. Hier bestimmen die Landwirte die Preise, die oft unter dem liegen, was sie eigentlich benötigen, um nachhaltig bestehen zu können. Indem wir nur in Supermärkten einkaufen, unterstützen wir auch, dass diese Preise so von der Politik subventioniert werden. 

In der gesamten Landwirtschaftspolitik besteht leider eine erhebliche Schieflage, die wir nicht so einfach ausgleichen können. Daher bin ich der Überzeugung, dass Schwärmereien nur durch Menschen bestehen können, die bereit sind, mit ihrem eigenen Portmonee ein Gegengewicht zu schaffen. Diese Menschen treffen bewusste Kaufentscheidungen zugunsten nachhaltiger, regionaler und biologisch hergestellter Produkte, selbst wenn der Supermarkt um die Ecke Lebensmittel dermaßen billig raushaut, wie es gar nicht sein kann. Wenn regionale Blaubeeren teurer sind als die aus Peru, stimmt hier etwas nicht. Wie müssen die Lebensbedingungen, die wir damit in Kauf nehmen, sein? Das sind keine fairen Preise; vielmehr unterstützen wir Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Umweltzerstörung, nur weil das System Supermarkt uns diese Produkte so billig anbietet. 

Wie trägst du dazu bei, das Bewusstsein von Verbraucher*innen für faire Preise zu schärfen?

Ich trage dazu bei, indem ich regionalen Produzenten die Möglichkeit gebe, ihre Produkte in meiner Schwärmerei anzubieten. Unter anderem gehören auch ein Stand beim Nachhaltigkeitsfestival, ein kleiner Vortrag an der Volkshochschule und ein Workshop zur nachhaltigen Versorgung im Rahmen der fairen Woche dazu. Das sind alles kleine Dinge, die Information schaffen, aber die Kaufentscheidung bleibt letztendlich bei jedem einzelnen. So ist es wichtig, dass sich jeder seiner Marktmacht bewusst ist. Allerdings sehe ich auch die Grenzen, besonders wenn die Politik in eine andere Richtung neigt und Subventionen anders verteilt werden – das macht es wirklich verdammt schwer.

Was sind deine Forderungen an die Politik?

Ich fordere, dass regionale Produkte eine Vorteil bekommen: Dazu gehören eine faire Co2 Bepreisung, eine 0% Mehrwertsteuer für Bio-Produkte und die Unterstützung regionaler Verarbeitungsstrukturen. Es ist entscheidend, dass Naturschutzgebiete und unsere Ressourcen von der Politik höher bewertet werden, um die Umwelt und die Lebensgrundlagen unserer Region zu erhalten. Dazu zählen für mich auch ein Glyphosat Verbot und die Förderung von Forschung zu an die Region angepassten Sorten. Diese unterstützt biodiverse Klimaanpassungsmaßnahmen, die für die lokale Landwirtschaft von großer Bedeutung sind.

Die Kriterien, die von der Universität Greifswald für die Berechnung fairer Preise festgelegt wurden, sind genau die Aspekte, die die bestehende Schieflage erzeugen. Wenn die Politik diese Kriterien aufgreifen und beseitigen würde, könnten wir uns in einer völlig anderen Situation befinden. Die Menschen würden eher regionale Produkte wählen, da sie dann aufgrund ihrer Nähe günstiger wären im Vergleich zu importierten Lebensmitteln. Produkte, die mit Chemikalien, Verschmutzung und Umweltzerstörung verbunden sind, müssten entsprechend teurer sein, und das Verhältnis wäre ausgeglichen.

Wir bedanken uns bei Gastgeberin Hilde für das interessante Gespräch.

Auch wir finden, dass die Einpreisung von Umweltschäden eine Chance bietet, das eigene Konsumverhalten zu überdenken und eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Hier sollten wir uns vor allem bewusst machen, dass es kosteneffizienter ist, jetzt für die Vermeidung von Schäden zu zahlen als später.

Nachhaltig produzierte Lebensmittel findest du bei Marktschwärmer.

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Marktschwärmer

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