Die Menschen können mich nicht richtig einschätzen. Ich bleibe ihnen ein Rätsel. Die meisten denken, ich wäre eine Pflanze, weil ich sesshaft bin. Sie schwärmen aus in die Wälder und sammeln mich wie Beeren. Im Supermarkt sortieren sie mich zwischen Tomaten und Kartoffeln ein. Und dabei vergessen sie, dass ich auch als grauer Schleier in ihren zu feuchten Badezimmern oder in ganz besonders unangenehmen Fällen sogar auf ihrer Haut vorkommen kann. Ich kann so tierisch sein! Die Menschen schmeißen mich in ihre Pfannen mit dem ganzen anderen jungen Gemüse und wissen gar nicht, wer ich bin, auch wenn sie meinen Namen kennen: Pilz, angenehm.
Alles klar, denkt ihr, aber ist es das wirklich? Ich will euch nicht verwirren, mich aber vielleicht ein bisschen genauer vorstellen.
Mein lateinischer Name Fungus bezeichnete ursprünglich Schwämme, aber weil wir uns so ähnlich sind, haben wir Pilze den Namen irgendwann gekriegt. Schwämme leben im Wasser und werden eindeutig als Tiere anerkannt. Wir dagegen, werden weiterhin stur als Pflanzen gesehen und als Pflanzen in Pfannen geschmissen.
Das liegt natürlich auch daran, dass sich nur so wenige Menschen unsere DNA anschauen. Die zeigt nämlich, dass wir den Tieren näher sind als den Pflanzen. Sie erzählt auch, dass sich unsere Zell-Entwicklungslinie vor ca. 800 Millionen Jahren von derjenigen Linie getrennt hat, aus der die Menschen irgendwann entstanden sind. Von der Linie der grünen Pflanzen hat sich die Menschenlinie schon deutlich früher getrennt.
Wir Pilze haben mit den Pflanzen gemeinsam, dass wir im Gegensatz zu Tieren und Menschen Zellwände haben. Was Pflanzen jedoch machen und wir nicht, ist die Photosynthese, bei der die Lebensenergie überwiegend aus der Luft gewonnen wird. Wir dagegen lieben es zu essen, genau wie Mensch und Tier. Tatsächlich funktionieren wir genau wie ein menschlicher Dünndarm, wir sind quasi ein einziges Verdauungsorgan. Wir zerlegen unsere Nahrung durch Enzyme und nehmen die Nährstoffe durch die Zellmembran auf. Wichtig ist dafür eine möglichst große Absorbationsfläche und genau das ist unsere Spezialität: Allein die niedlichen Feldchampignons unter uns haben kilometerlange Fäden unter der Erde. Diese Fäden (Hypen), das sind wir. Das, was ihr als Pilze bezeichnet, ist lediglich unsere Frucht. Dabei sind unsere Hypen nicht mit den Wurzeln von Pflanzen zu verwechseln (die Wasser und Mineralien aus dem Boden aufnehmen). Nein, die Hypen, das sind wir, und wir zersetzen den Boden selbst, fressen und verdauen seine Biomasse. Deswegen sind wir auch so anfällig für Schwermetalle, von denen die meisten Waldböden heutzutage durchschwämmt sind. Das ist wiederum einer der Gründe dafür, dass es so viele Indoor-Pilzzuchtanlagen gibt. Es hat nicht nur mit Massenproduktion zu tun, sondern auch mit der Wahrung der Bodenqualität. Ist natürlich nicht so romantisch.
An dieser Stelle möchte ich ganz offen mit euch sein: Wir Pilze gehen auch Partnerschaften ein. Die können sowohl sexuell als auch asexuell sein, das ist wie bei euch. Unsere Nachkommen entstehen durch das Intimwerden von männlichen und weiblichen Hypen unter der Erde oder auch ganz offiziell überirdisch durch das Zusammentreffen von unterschiedlich geschlechtlichen Sporen. Einige von uns können sich auch ohne Sex vermehren, durch Zweiteilung zum Beispiel. Beruhigend ist in manchen Fällen, dass ihr das nicht könnt. Außerdem gibt es Pilze, die gehen Symbiosen mit anderen Spezies ein, wie die Pfifferlinge mit der Buche oder mit der Fichte – beide Partner profitieren dann von der Verbindung. Wieder andere Fälle verhalten sich absolut parasitär – ein Partner nutzt den anderen so lange aus, bis dieser eingeht. Auch das nichts neues für euch.
Ich weiß, für euch, die ihr euer ganzes Leben in den Kategorien Pflanze – Tier – Mensch gedacht habt, ist es schwer- bis unvorstellbar, dass es da noch etwas anderes gibt. Aber sehen wir der Tatsache ins Gesicht: Wir – ganz im Gegensatz zu euch – lassen uns einfach keiner anderen Kategorie zuordnen. Wir schlagen deswegen vor: Pflanze – Pilz – Tier. Ich denke auch in Anbetracht unserer Masse, die insgesamt ein Viertel der gesamten Biomasse unseres Planeten ausmacht, ist diese Aufteilung berechtigt. Ihr könnt euch ja aussuchen, wozu ihr gehören möchtet.
Mit meiner kleinen Geschichte über mich will ich keinesfalls eure Essgewohnheiten beeinflussen und am wenigsten die von Vegetariern und Veganern. Ich möchte nur eines: nicht immer wieder gedankenlos mit Tomaten und Kartoffeln in einen Topf geschmissen zu werden.
Bild: Alice Popkorn
Kommentare