Die Rückkehr rebellischer Rebsorten: Wie resistente Sorten den europäischen Weinbau neu gestalten

Seit langem nur eingeschränkt zugelassen, feiern resistente Rebsorten ein großes Comeback –  nicht nur in unseren Weinbergen, sondern auch in privaten Gärten. Diese sich ständig weiterentwickelten Sorten könnten die Antwort auf einen ökologischeren Weinbau sein, der den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen ist. Entdecke, wie diese rebellischen Weine die Weinbaulandschaft Europas neu gestalten – von Frankreich über Italien bis nach Österreich.

Im sonnenverwöhnten Tal des Hérault, im Süden Frankreichs, braut sich eine stille Revolution zusammen. Der leidenschaftliche Winzer Laurent Cabrol bewirtschaftet sein Weingut mit einer spürbaren Entschlossenheit. Sein sorgfältig zusammengestelltes Rebsortiment, die er akribisch aus ganz Europa zusammengetragen hat, umfasst rund 50 Sorten, die gegen die gängigsten Rebkrankheiten resistent sind. „Tafeltrauben gehören zu den Früchten, die am häufigsten mit Pestiziden behandelt werden“, erklärt Cabrol. „Unser Projekt zielt darauf ab, Alternativen anzubieten, die frei von geistigen Eigentumsrechten sind.” Von diesen Alternativen stammen viele aus dem Ausland oder waren lange Zeit aus den französischen Weinbergen verbannt, da ihr Anbau per Gesetz verboten war.

Laurent Cabrols Art der Bewirtschaftung steht sinnbildlich für eine wachsende Bewegung in ganz Europa. Sowohl Hobbywinzer als auch professionelle Weinbauern setzen sich für die Vorzüge resistenter Rebsorten ein, die fast ein Jahrhundert lang aus dem Mainstream des Weinbaus verbannt waren. Die Geschichte beginnt im frühen 20. Jahrhundert, als eine Reihe von Krisen und Krankheiten die französischen Weinberge verwüstete. Als Reaktion darauf entwickelten Botaniker Hybride, indem sie europäische Reben mit widerstandsfähigeren amerikanischen Sorten kreuzten.

Im Jahr 1934 ergriff die französische Regierung den drastischen Schritt, sechs dieser Hybridrebsorten zu verbieten. Clinton, Noah, Isabelle, Jacquez, Othello und Herbemont durften nicht mehr für die Weinproduktion verwendet werden. Der offizielle Grund für dieses Verbot? Man behauptete, Weine aus diesen Reben würden zu viel giftigen Methylalkohol enthalten – eine Aussage, die heute als wissenschaftlich widerlegt gilt. Der Önologe Jérôme Villaret nennt jedoch den inoffiziellen Grund für diese Maßnahme: Man wollte eine Überproduktion verhindern, historische französische Sorten fördern und den Anbau dieser außergewöhnlich ertragreichen Reben einschränken.

Diese Entscheidung ist heute schwer nachvollziehbar, da diese resistenten Sorten Lösungen für die zahlreichen Herausforderungen bieten könnten, mit denen sich der moderne Weinbau konfrontiert sieht: Klimawandel, Überabhängigkeit von Pestiziden und Verlust der Biodiversität. Seit mindestens einem Jahrzehnt setzt sich eine Gruppe von Winzern und Aktivisten, die teilweise unter dem Banner „Fruits oubliés Réseau“ agiert, für die Rückkehr dieser Sorten ein. Sie setzen sich nicht nur für die Förderung bekannter und zugelassener Hybride wie Villard blanc, Villard noir und Couderc ein, sondern plädieren auch dafür, ein breiteres Spektrum an Sorten wieder aufleben zu lassen.

Die Aktivisten heben die Vorzüge der Isabelle-Rebsorte hervor, die sich durch Himbeer-Noten und robuste Klettereigenschaften auszeichnet. Auch Othello, ideal als Tafeltraube, sowie Noah, der an rote Beeren erinnert, finden ihre Anerkennung. Sie betonen, dass der Anbau dieser Trauben ein Stück Tradition bewahrt, da sie oft auf Spalieren gezogen und mit lokalem Fachwissen kultiviert werden. Ihre Bemühungen zeigen bereits Wirkung: Seit Anfang 2023 ist der Anbau dieser Sorten in Frankreich wieder erlaubt. Der Einsatz für die Weinproduktion bleibt jedoch weiterhin untersagt.

Diese Einschränkung ist besonders bedauerlich, da viele Winzer, die diese Sorten kommerzialisieren möchten, einen lokal orientierten Ansatz verfolgen, ähnlich der Craft-Bier-Bewegung, die in Frankreich auf dem Vormarsch ist. Diese Weine zeichnen sich durch ihre einzigartigen Eigenschaften aus, die das Terroir widerspiegeln und lokale Traditionen bewahren. Zudem bedeutet eine größere Sorten- und genetische Vielfalt eine verbesserte Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel. Damit stellen diese einst abgelehnten Sorten eine wertvolle Chance dar.

Angesichts des intensiver werdenden Klimawandels und wachsender Umweltbedenken steht die Weinindustrie an einem Wendepunkt. Die Wiederbelebung dieser einst verbotenen Trauben eröffnet einen vielversprechenden Weg, der Tradition mit Innovation und Nachhaltigkeit mit Geschmack verbindet. Diese Bewegung hinterfragt die langjährigen Vorstellungen davon, was „richtigen“ Weinbau ausmacht, und bietet gleichzeitig Lösungen für einige der drängendsten Herausforderungen, mit denen der Weinbau heute konfrontiert ist. 

Die Geschichte dieser resistenten Rebsorten geht über bloße landwirtschaftliche Anpassung hinaus; sie handelt von kultureller Erhaltung, Biodiversität und der Demokratisierung der Weinproduktion. Während die „rebellischen Trauben“ weiterhin an Bedeutung gewinnen, könnten sie unser Verständnis von Terroir neu definieren. Dabei würden sie nicht nur die Umweltfaktoren berücksichtigen, die den Charakter eines Weins ausmachen, sondern auch die historischen und kulturellen Einflüsse, die die Weinbaupraktiken prägen.

Glücklicherweise kann Frankreich Inspiration bei erfolgreichen europäischen Vorbildern finden. In Österreich kultivieren Eva und Martin Weinek mit bemerkenswertem Erfolg hybride Rebsorten, die als „Uhudler“ bekannt sind, und betonen, dass diese Produktion den Ruf ihrer Region stärkt. In Italien erlebt die „Clinto“-Rebsorte eine Renaissance, mit etwa 1.000 Produzenten in Venetien, die nicht nur zu einer interessanten Weinproduktion beitragen, sondern auch eine gut etablierte lokale Kultur fördern. Diese Wiederbelebung resistenter Rebsorten ist Teil einer breiteren Bewegung hin zur Re-Lokalisierung unserer Lebensmittelsysteme. Die Ära intensiver Monokulturen und exzessiver Pestizidverwendung neigt sich dem Ende zu; an ihre Stelle tritt eine vitale, umweltbewusste und sozial gerechte Weinbaukultur.

Das wachsende Interesse von Privatpersonen sorgt für zusätzlichen Aufschwung. Laurent Cabrol, der seit zwölf Jahren resistente Reben über sein Unternehmen Viticabrol vertreibt, erklärt: „Unsere Kunden freuen sich, Trauben fast überall in Frankreich und sogar in Belgien anbauen zu können. Diese Sorten haben eine kürzere Reifedauer, was sie anpassungsfähiger an den Klimawandel macht.“ Besonders stolz ist er darauf, dass seine Kunden Isabel- und Noah-Reben sowie Zemira, eine Sorte mit attraktiven rosafarbenen Trauben, und Goldberry, eine noch wenig bekannte, aber köstliche serbische Tafeltraube, erwerben.

Diese Enthusiasten, deren Interesse seit der Gesundheitskrise 2020 deutlich gewachsen ist, profitieren von der Möglichkeit, innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu agieren. Ihr Konsumverhalten deutet auf eine vielversprechende Zukunft für diese Rebsorten hin. Vielleicht sind sie die Vorreiter einer lebendigen Weinbauzukunft, die Vielfalt und Freiheit bei der Traubenwahl in den Vordergrund stellt. Indem sie diese Sorten annehmen, revitalisieren Winzer und Weinliebhaber nicht nur vergessene Früchte, sondern stärken auch die Resilienz ihrer Reben und Gemeinschaften. So gestalten sie eine Zukunft, die nicht nur Innovation feiert, sondern auch den unaufhörlichen Geist der Rebellion, der die Weinwelt seit jeher prägt.

 

Dieser Artikel wurde von Thibaut Schepman verfasst.

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