Große Ernten auf kleinen Flächen, nachhaltige Bewirtschaftung, die das Bodenleben fördert und endlich attraktive Arbeitsplätze in der Landwirtschaft – all das ermöglicht das Marktgarten-Konzept. Wir sprechen im Interview mit Vivian Glover, Pionierin im Bereich Marktgärtnerei, Geschäftsführerin des Gemüsegarten Hoxhohl und Gründerin des Kolibri Netzwerks über diese neue Form des Gemüseanbaus, die sofort zum Mitmachen motiviert.
Was genau ist und macht das Kolibri Netzwerk?
Das Kolibri Netzwerk für Marktgärtnerei und Mikrofarming ist ein Verein, der vorhandene Mikrofarmen und Marktgärterneien unterstützt, das zugrunde liegende Modell des biointensiven Gemüseanbaus politisch vertritt und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Zusätzlich bieten wir Quereinsteiger*innen sowie Neuanfänger*innen mit unserem Netzwerk Beratungsangebote und gezielte Ansprechpartner*innen. Seit 2017 veranstalten wir eine jährliche Konferenz und organisieren viele verschiedene, zurzeit überwiegend online basierte, Veranstaltungen. Unsere Vernetzungsreihe findet jeden zweiten Dienstag als Webinar statt. Marktgärtner*innen, die schon länger im Geschäft sind, berichten von ihren Erfahrungen oder referieren zu bestimmten Themen, die sie selbst festlegen können. Danach ist Zeit für einen gemeinsamen Austausch und das Beantworten von Fragen.
In Deutschland sind Marktgärten und Mikrofarming in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Wie hat sich diese Bewegung entwickelt und welche Rolle spielt das Kolibri Netzwerk dabei?
Mit der Gründung meines Betriebs Anfang 2017 wurde mein Wunsch nach einem Netzwerk im Bereich Marktgarten und Mikrofarming zum Austauschen und voneinander lernen immer größer. Damals war ich mit dieser Form des Gemüseanbaus noch sehr alleine – es gab neben meinem Betrieb nur zwei weitere Marktgärtereien in Deutschland. Im November 2017 habe ich mit einem Kollegen, der damals bei der Stiftung Ökologie und Landbau gearbeitet hat, den international bekannten Gemüseerzeuger und Autor Jean-Martin Fortier aus Kanada zu einem Vortrag nach Deutschland eingeladen. Gewissermaßen war diese Veranstaltung der Startschuss für die Marktgartenbewegung in Deutschland und auch für die Entstehung des Kolibri Netzwerks verantwortlich. Seitdem ist die Nachfrage nach Veranstaltungen rund um das Thema Marktgärtnerei und Mikrofarming kontinuierlich gewachsen. Von Bodenfruchtbarkeit, Anbauplanung bis hin zu Arbeitsgestaltung und Mitarbeiterorganisation – all diese Themen versuchen wir mit unserer jährlichen Konferenz und der Vernetzungsreihe abzudecken. Meine Hauptmotivation ist es, mit dem Netzwerk einen intensiven und fruchtbaren Austausch zu fördern und Referent*innen einzuladen, die aus erster Hand berichten und neue funktionierende Modelle im Gemüseanbau aufzeigen.
Welchen Hintergrund haben die Menschen, die an euren Veranstaltungen teilnehmen und wie ist das Feedback?
Das Motto bei Kolibri lautet klein, bunt und vielfältig, und genauso geht es auch bei unseren Veranstaltungen zu. Sowohl auf den Konferenzen als auch bei den Vernetzungsreihen bringt sich eine große Vielfalt an Menschen von allen Seiten ein. Einige Teilnehmer*innen arbeiten schon seit vielen Jahren als Gemüseproduzent*innen oder haben bereits einen landwirtschaftlichen Betrieb, den sie mit einem Marktgarten diversifizieren möchten. Es sind Menschen dabei, die ihren ersten Marktgarten mit wenigen Vorkenntnissen neu gegründet haben und sich nun mit erfahrenen Marktgärtner*innen austauschen möchten. Darüber hinaus gibt es Teilnehmer*innen, die eher in die Kategorie “Verbraucher*innen” fallen und bloß aus Neugier und Interesse an unseren Veranstaltungen teilnehmen.
In Deutschland ist in den letzten zwei Jahren ein riesiges Interesse aufgekommen. Letztes Jahr war zum Beispiel das ZDF bei uns und auch bei anderen Kolleg*innen fragen immer wieder Fernsehsender an, die über das Konzept berichten wollen, weil es attraktive Arbeitsplätze bietet. Die Landwirtschaft – eine Branche, in der die Arbeitsplätze in den letzten Jahrzehnten eher von einem Rückgang gekennzeichnet, und aufgrund der harten, körperlichen Arbeit und dem wenigen Geld, das dabei rumkommt bei Berufsanfänger*innen und Quereinsteiger*innen zu den unbeliebtesten gehören. Die Marktgärtnerei und das Mikrofarming entwerfen hier ein Gegenmodell und macht das landwirtschaftliche Arbeiten wieder interessant.
Ich selbst habe ein kleines Kind und bin nur in Teilzeit in meinem Betrieb tätig, kümmere mich aber zusätzlich noch um die Geschäftsführung. Darüber hinaus beschäftige eine Gärtnerin, eine Auszubildende und eine Aushilfe, die uns an den Erntetagen unterstützt. Wenn man das zusammenrechnet, sind wir in diesem Jahr knapp zweieinhalb Arbeitskräfte. Damit bewirtschaften wir 2600 m2 im Freiland, ca. 200 m2 sind in Folientunneln und im Mai kommen noch ca. 300 m2 dazu. Mit dieser Fläche können wir sagenhafte 180 Haushalte mit Gemüse versorgen! Das Verhältnis von Fläche zu dem erzeugtem Gemüse ist also sehr effizient.
Was macht deinen Betrieb und damit einen Marktgarten aus und wie unterscheidet er sich von anderen Gemüse produzierenden Betrieben?
Mein Betrieb unterscheidet sich von anderen Gemüsebaubetrieben, die keine Marktgärtnereien sind, vor allem dadurch, dass wir gar keine Maschinen einsetzen. Ein Marktgarten ist ein sehr menschlich geprägtes Arbeitsumfeld. All diejenigen, die ein Marktgarten Konzept betreiben, bauen Gemüse auf weniger als einem Hektar an. Alles darüber hinaus braucht sehr viel Organisation, um auf Maschinen verzichten zu können, alles händisch zu produzieren und die entsprechenden Margen zu erreichen. Bei dieser Betriebsgröße können wir dem Bodenaufbau und der Bodenfruchtbarkeit viel mehr Zeit widmen. Ich bearbeite den Boden nur mit einer Doppelgrabegabel, die auch symbolisch für die Marktgärtnereien steht und den Boden tief lockert, aber nicht wendet. Auf diese Weise können wir das Bodenleben maximal fördern. Ohne Bodenbearbeitung bleiben die Pilzstrukturen erhalten, die den Kulturpflanzen helfen, an Bodenwasservorräte und Nährstoffe zu kommen. Eine hohe Bodenfruchtbarkeit ermöglicht große Ernten auf kleiner Fläche, ohne dass wir Raubbau betreiben. Je mehr Gemüse wir anbauen, desto mehr Fotosynthese wird betrieben und desto mehr Wurzelausscheidungen gelangen in den Boden, der dadurch immer fruchtbarer wird – ein Kreislauf schließt sich.
Was waren deine größten Herausforderungen bei der Gründung deines Marktgarten?
Als ich meinen Betrieb gegründet habe, gab es sehr viel Skepsis um mich herum. Mein Gemüsegarten befindet sich im Mittelgebirge, genauer gesagt im Odenwald – das ist keine klassische Gemüseanbauregion. Außerdem liegt mein Garten an einem Hang. Viele Landwirtschaftskolleg*innen haben daran gezweifelt, dass der Gemüseanbau hier überhaupt möglich ist. Hinzu kommt, dass vor fünf Jahren noch nicht so viel Wissen und Literatur vorhanden war. Ich hatte nicht viel an dem ich mich orientieren konnte und musste manches Rad neu erfinden, herumprobieren und habe dementsprechend auch viel Energie, Zeit und Geld in mein Projekt gesteckt. Jetzt bestreite ich mit meinem Marktgarten schon erfolgreich die sechste Saison – unglaublich!
Wie hast du die ersten Abnehmer*innen für dein Gemüse gefunden und welche Vermarktungswege gibt es für Marktgärten?
Ich habe damals zwei Infoveranstaltungen organisiert und wurde mit meinem Konzept in der örtlichen Tageszeitung hier in der Region vorgestellt. So ließen sich problemlos die ersten 35 Abnehmer*innen für mein Gemüse finden. Seitdem sind wir stetig über eine Warteliste gewachsen. Das Interesse ist da und ich kann die Nachfrage sehr gut bedienen. Anders verhält es sich, wenn bereits Marktgärtnereien oder Solidarische Landwirtschaft in der Region vorhanden ist. An dieser Stelle empfehle ich immer zu schauen, wer welchen Markt bedient. Menschen, die bei einer Solidarischen Landwirtschaft mitmachen, sind nicht unbedingt Kund*innen, die bei Marktschwärmer einkaufen, auf den Wochenmarkt gehen oder sich von einer Abokiste beliefern lassen. Die häufigsten Modelle für die Vermarktung von Produkten aus Marktgärtnereien sind Abokisten und die Solidarische Landwirtschaft, aber es gibt auch Marktgärtnereien, die Marktschwärmereien oder die Gastronomie beliefern. Generell lässt sich sagen, dass alles was Direktvermarktung betrifft für Marktgärtnereien funktioniert. Der Großhandel ist eher selten dabei, obwohl das auch eine Frage der Menge ist. Baut eine Marktgärtnerei zum Beispiel regionalen Ingwer an, könnte das auch interessant für den Großhandel sein.
Was ist der Vorteil für Verbraucher*innen Gemüse aus der Direktvermarktung von einem Marktgarten zu beziehen?
Die kleinen Strukturen und die Direktvermarktung ermöglichen es, dass morgens das geerntet werden kann, was mittags verteilt wird. Für die Verbraucher*innen bedeutet das ganz frisches Gemüse direkt aus dem Garten – das schmeckt man auch einfach. Dadurch, dass ich eine Solidarische Landwirtschaft bin, habe ich auf der einen Seite natürlich die Verpflichtung für maximale Vielfalt zu sorgen und auf der anderen Seite auch die Freiheit für Vielfalt zu sorgen, weil ich nicht das einzelne Produkt verkaufe, sondern den Anbau im Gesamtpaket. Dementsprechend kann ich auch Kulturen anbauen, die deutlich arbeitsaufwändiger sind und die man sonst vielleicht nicht anbauen würde, wenn man zum Beispiel auf dem Wochenmarkt verkauft oder eine Schwärmerei beliefert. Ich baue über 60 verschiedene Kulturen an – da ist bekanntes dabei aber auch immer mal wieder etwas Neues. Für die Verbraucher*innen ist also immer für Abwechslung gesorgt.
Aktuell baue ich zum Beispiel Hirschhornwegerich an, der gehört zur Familie des Spitzwegerich, hat aber deutlich schmalere Blätter, die wie ein Horn von einem Hirsch aussehen. Ich ernte die Blätter, wenn sie noch jung und zart sind. Der salzig, säuerliche Geschmack ist eine tolle Geschmackskomponente in meiner Wintersalat-Mischung. Die Blätter passen aber auch gut zu Risotto oder Gnocchi. Ich gebe meinen Mitgliedern auch immer gerne ein paar Rezeptideen mit an die Hand.
Wir bedanken uns bei Vivian Glover für das interessante Gespräch und den Einblick in ihren Betrieb und das Kolibri Netzwerk. Du bist jetzt neugierig geworden auf Marktgärtnerei und Mikrofarming? Dann schau doch einfach mal bei den Veranstaltungen vom Kolibri Netzwerk vorbei!
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