Überraschende Vielfalt – die türkische Küche

Kaum eine Länderküche hat in Deutschland so mit Klischees zu kämpfen wie die türkische. Türkisch, das heißt vor allem Döner – billig muss er sein, schnell sättigend, rund um die Uhr verfügbar und meistens mit reichlich Fleisch.

Selbst die gehobene türkische Gastronomie in Deutschland scheint den Kampf aufgegeben zu haben, denn mehr als eine Handvoll der bekannten Standardgerichte, mal in dieser, mal in jener Variation, mehr mutet man dem Publikum selten zu.

In Düsseldorf bemühen sich seit Jahren Orkide und Orhan Tançgil, den Deutschen die ganze Vielfalt der türkischen Küche näher zu bringen. Auf ihrer Plattform KochDichTürkisch veröffentlichen sie Rezepte als Video und Text, berichten über die Herkunft der Gerichte und leisten allerlei kulinarische Nachhilfe mit Anregungen, Tipps und Tricks. Mehrere Kochbücher haben sie bereits veröffentlicht, jetzt auch eines, das speziell der vegetarische Küche in der Türkei gewidmet ist. Dafür haben die Autoren rund 150 traditionell vegetarische, ausführlich recherchierte Rezepte zusammengestellt.

Türkei vegetarisch

Die türkische Küche, das kann man ohne jede Übertreibung sagen, zählt zu den  abwechslungsreichsten der Welt. Das Osmanische Reich umfasste über Jahrhunderte eine Vielzahl von Regionen, Völkerschaften und Kulturen. Aus den Landstrichen rund ums Mittelmeer, ja aus Indien und Zentralasien flossen die Rezepte, Gerichte, Traditionen und Tischsitten ins Gebiet der heutigen Türkei. Die höchst anspruchsvolle Palastküche des Sultans in Istanbul war einst das kulinarische Zentrum des Reichs.

Während in Deutschland das Tellergericht als Ideal gilt – hier das Stück Schweinebraten, daneben die Kartoffeln und das verkochte Gemüse, dazu eventuell ein Extra-Tellerchen mit grünem Salat – kommt in der Türkei, etwas salopp gesagt, alles gleichzeitig auf den Tisch: Haupt- und Nebenspeisen, und jeder legt sich von der dargebotenen Fülle an warmen, lauwarmen oder kalten Gerichten auf seinen Teller, was er mag, und es gibt keine strenge Reihenfolge.

Das ist praktisch, denn viele Speisen lassen sich gut vorbereiten, im Kühlschrank aufbewahren und bei Bedarf auch wieder aufwärmen. Was übrig bleibt, wird aufgehoben und bei der nächsten Mahlzeit mit weiteren, neu zubereiteten Speisen kombiniert. Dieses Prinzip sorgt für Vielfalt auf den Tellern und ist gut gegen Langeweile und Lebensmittelverschwendung.

Darüberhinaus ist die türkische Küche keine fleischlastige Küche. Im Gegenteil: Im Mittelpunkt stehen Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte. In der Türkei wird nur etwa ein Viertel der Fleischmenge verbraucht, die in Deutschland auf den Tisch kommt. Anders als bei den alpenländischen Küchen versinkt die vegetarische türkische Küche auch nicht in Butter und Sahne. Vielfach kommt Olivenöl zum Einsatz. Für Fülle sorgen Gewürze, die jedoch werden eher pointiert, aber sparsam genutzt werden, und vor allem reichlich Kräuter wie Petersilie, Minze oder Dill.

Türkei vegetarisch

Die Rezepte des Kochbuchs „Türkei vegetarisch“ sind nach Jahreszeiten gegliedert. Obwohl die Vegetationszeiten in der Türkei sich von denen Mittel- und Westeuropas unterscheiden, lässt sich dieses Prinzip auch hier erstaunlich gut umsetzen. Niemand muss also Erdbeeren im Winter kaufen. Die saisonalen Kombinationen wirken ebenso durchdacht wie anregend. Bei jedem Rezept ist der türkische Name angegeben und kurze Texte helfen, die Bedeutung der Speise in der Esskultur der Türkei zu verstehen.

Jede Jahreszeit ist dann noch einmal unterteilt in Suppen und Eintöpfe, Mezze und Salate, dann die so typischen Gerichte in Olivenöl, Dolma und Sarma, weitere Gemüse- und Hauptgerichte, Teigwaren und Pilaw sowie Süßes.

Jetzt, in der Winterzeit, empfehlen die Autoren beispielsweise eine Rote-Bete-Suppe mit gerösteten Kichererbsen, feine Lauch-Küchlein aus der Pfanne, mit Bulgur und passierten Tomaten gefüllte Trockengemüse, ein aromatisches Rosenkohl-Gericht oder gebackener Blumenkohl mit Kreuzkümmel sowie Kürbis-Käse-Börek und an Süßem ein Walnuss-Gebäck aus Hartweizengries.

Die für die Rezepte benötigten Zutaten sind in Deutschland zumeist auf Wochenmärkten oder im Supermarkt erhältlich, in einigen Fällen sucht man türkische Lebenmittelläden auf, um etwa Bulgur in unterschiedlichen Feinheitsgraden oder pul biber (zerstoßene Chiliflocken), bestimmte Gemüse oder Joghurt in hoher Fettstufe zu bekommen.

Mit seinen drei praktischen Lesebändchen, ansprechenden Fotos und vielen liebevoll gemachten Details ist „Türkei vegetarisch“ ein ausgesprochen schönes Kochbuch, mit dem man sich selbst oder anderen lange anhaltende kulinarische Freuden schenkt.

„Türkei vegetarisch“ erscheint in einer Reihe im Brandstätter-Verlag, die von der Journalistin und Köchin Katharina Seiser in Wien herausgegeben wird. Sorgfältig recherchiert, ausgewählt mit viel Erfahrung und Hintergrundwissen, zeigen diese Kochbücher, dass unsere Länderküchen über reichhaltige Traditionen des fleischlosen Kochens und Genießens verfügen. In der Nachkriegszeit sind diese Traditionen in Vergessenheit geraten.

Die vegetarischen Kochbücher sind somit kulturelles Gedächtnis und Zukunftswissen zugleich – das dringend benötigt wird, um genussvolle Alternativen zum übermäßigen Fleischkonsum in den Industriegesellschaften aufzuzeigen. Bisher sind drei weitere Bände zu den vegetarischen Traditionen der deutschen, italienischen und österreichische Küche erschienen, die durchweg empfehlenswert sind. (ut)

Orkide Tançgil, Orhan Tançgil: Türkei vegetarisch. Herausgegeben von Katharina Seiser. Fotografien von Erman Dogan. 272 Seiten, ca. 120 Abbildungen, Hardcover. Brandstätter, Wien 2015. 34,90 Euro

Wie immer verlosen wie unser Besprechungsexemplar des Buches, das der Verlag uns zur Verfügung gestellt hat. Interessierten melden sich bis 30. November 2015 per E-mail. – Datenschutzhinweis: Persönliche Daten werden ausschließlich zur Auslosung und zur Benachrichtung des oder der GewinnerIn genutzt und anschließend gelöscht.

Mehr über Marktschwärmer erfährst Du auf unserer Webseite und unserer Facebook-Seite.

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